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Rundschreiben Nr. 5/2019 des Landeskirchenamtes:
• Urteil des Bundesarbeitsgerichtes vom 25. Oktober 2018 – (Un-)Zulässigkeit der Religionszugehörigkeit als berufliche Anforderung in der Kirche und der Diakonie
• Empfehlungen für die Personalpraxis

Vom 16. Januar 2019

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I. Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 25. Oktober 2018

Mit seiner Entscheidung vom 25. Oktober 2018 ist das Bundesarbeitsgericht der Rechtsauffassung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH, Urteil vom 17. April 2018) grundsätzlich gefolgt. Dabei hat es aber das kirchliche Selbstbestimmungsrecht aus Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 noch deutlich stärker eingeschränkt. Im Ergebnis hat das Bundesarbeitsgericht einer nicht berücksichtigten konfessionslosen Bewerberin auf eine Referentenstelle im Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung e.V. eine Entschädigung wegen Diskriminierung aufgrund der Religion zugesprochen.
Das Bundesarbeitsgericht hat die in der Stellenausschreibung geforderte Zugehörigkeit zu einer christlichen Kirche nicht als eine gerechtfertigte Anforderung anerkannt, weil „im konkreten Fall keine wahrscheinliche und erhebliche Gefahr bestand, dass das Ethos des beklagten Werks beeinträchtigt würde". Dies sei bereits dann nicht der Fall, wenn eine Mitarbeiterin bzw. ein Mitarbeiter in eine Hierarchie eingebunden sei und Weisungen unterliege. Darüber hinaus hat das Bundesarbeitsgericht die erste Alternative des § 9 Abs. 1 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG), wonach die Kirchen „unter Beachtung ihres Selbstverständnisses und im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht" religionsbezogene berufliche Anforderungen aufstellen können, für unionsrechtswidrig und daher für nicht anwendbar erklärt.
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II. Kurze Bewertung

Artikel 17 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union bestimmt, dass die Europäische Union den rechtlichen Status, den die Religionsgemeinschaften haben, achtet und nicht beeinträchtigt. Dieser Bestimmung aus dem Primärrecht der Union hat der EuGH nicht ausreichend Geltung verschafft. Gemessen an der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stellt das Urteil einen unzulässigen Eingriff in das kirchliche Selbstbestimmungsrecht dar. Nach den Urteilen des EuGH und des Bundesarbeitsgerichts (BAG) können staatliche Gerichte religionsbezogene berufliche Anforderungen im kirchlichen Dienst vollumfänglich prüfen. Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts stellt dabei noch einen weitergehenden Eingriff in das kirchliche Selbstbestimmungsrecht aus Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV dar. Folgte man der Linie des Bundesarbeitsgerichts, nach der die Kirchenzugehörigkeit nur dann gefordert werden kann, wenn ansonsten das „Ethos der Kirche wahrscheinlich und erheblich gefährdet wäre" und dies bei einer Weisungsgebundenheit ausgeschlossen sei, könnte die Kirchenzugehörigkeit nur noch für einen sehr geringen Prozentsatz der Arbeitsplätze in Kirche und Diakonie gefordert werden. Dies stellt u.a. auf mittlere bzw. lange Sicht eine Gefährdung der kirchlichen Prägung der Einrichtungen dar. Es besteht weiterhin das Risiko, dass bei vorhandenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern festgestellt werden könnte, dass die in der Vergangenheit geforderte Kirchenzugehörigkeit nicht mehr als gerechtfertigte Anforderung gewertet wird.
Das Evangelische Werk für Diakonie und Entwicklung e.V. erwägt gemeinsam mit der Evangelischen Kirche in Deutschland, wegen des Eingriffs in das kirchliche Selbstbestimmungsrecht gegen das Urteil des Bundesarbeitsgerichtes Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht einzulegen. Dafür werden zunächst die schriftlichen Urteilsgründe des Bundesarbeitsgerichts abgewartet.
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III. Allgemeine Konsequenzen

Für die Zwischenzeit bis zu einer möglichen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts werden für die Personalpraxis folgende Empfehlungen gegeben, die mit der Richtlinie des Rates über die kirchlichen Anforderungen der beruflichen Mitarbeit von Dezember 2016 im Einklang stehen:
  1. Zunächst ist festzustellen, dass in der Zwischenzeit ein Festhalten an der bisherigen Ausschreibungs- und Auswahlpraxis nach der Rechtsauffassung des Bundesarbeitsgerichts nicht möglich ist. In allen Stellenausschreibungen die Zugehörigkeit zur Kirche zu fordern, beinhaltet das Risiko, das in Klagen eine Entschädigung nach § 15 AGG gefordert wird. Die grundsätzliche Anforderung der evangelischen Kirchenmitgliedschaft unabhängig von der konkreten beruflichen Tätigkeit ist gemessen an dem Urteil nicht mehr rechtmäßig. Insofern muss eine Differenzierung anhand der Tätigkeiten erfolgen. Wird dies nicht beachtet, können Bewerberinnen und Bewerber, die die geforderte Konfession nicht vorweisen durch die geforderte Kirchenzugehörigkeit eine Umkehr der Beweislast erreichen. In diesem Fall muss der kirchliche Arbeitgeber beweisen, dass er nicht wegen der Konfessionslosigkeit benachteiligt hat. Dies birgt ein deutliches Risiko in sich, dass sich Entschädigungsklagen durchsetzen könnten.
  2. Entscheidend für die Frage einer bestimmten Anforderung an die Konfession von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist nach der Rechtsauffassung des Bundesarbeitsgerichts, dass eine bestimmte konfessionelle Zugehörigkeit nur dann als entscheidendes Kriterium gefordert werden kann, wenn die konkrete Stellenbeschreibung Tätigkeiten vorsieht, deren Erfüllung bei der Stelleninhaberin bzw. dem Stelleninhaber diese Konfession voraussetzt.
  3. Für alle Stellenausschreibungen, bei denen eine besondere konfessionelle Anforderung gestellt wird, gilt: Der Arbeitgeber muss vor der Stellenausschreibung eine aussagekräftige Begründung für die jeweilige konfessionelle Anforderung erstellen, die im Streitfall zum Beweis herangezogen werden kann, dass keine ungerechtfertigte Benachteiligung vorliegt.
  4. Sofern wegen der Art der Tätigkeit oder der Umstände ihrer Ausübung in der Stellenbeschreibung keine bestimmte Anforderung an die Religionszugehörigkeit gestellt wird, kann eine entsprechende Anforderung weder in der Ausschreibung aufgeführt noch nachträglich inzident bei der Auswahlentscheidung zu einem entscheidenden Kriterium gemacht werden.
  5. Unabhängig davon ist es bisher auch möglich, im Einstellungsgespräch ohne Rücksicht auf eine Kirchenmitgliedschaft im Hinblick auf die von allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu erwartende Loyalität zum kirchlichen Arbeitgeber und zur Kirche die persönlichen Erfahrungen, Einstellungen und Bindungen zu erfragen. Diese werden bei den unterschiedlichen Tätigkeiten in der Kirche und der Diakonie eine unterschiedliche Relevanz haben. Daher kann am Ende eines Auswahlprozesses bei besserer oder zumindest gleicher Eignung einer evangelischen bzw. christlichen Person der Vorzug gegeben werden, auch wenn es auf die Konfessionszugehörigkeit als normales Kriterium nicht ankommt. In der Dokumentation der Bewerberauswahl muss diese Differenzierung deutlich werden.
    Einige Gliedkirchen haben in Rundschreiben und Verfügungen die Empfehlung gegeben, in Stellenausschreibungen noch weitergehender auf die Anforderung Kirchenzugehörigkeit zu verzichten, um rechtliche Risiken auszuschließen.
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IV. Empfehlungen für die Personalpraxis

  1. Bei der Ausschreibung von Arbeitsplätzen im Bereich der Verkündigung, Seelsorge und evangelischen Bildung (Religionspädagogik) sowie der Leitung von kirchlichen oder diakonischen Einrichtungen und der erwartbaren Loyalität (aktives Eintreten für die evangelische Prägung der Tätigkeit bzw. für die evangelische Kirche insgesamt) kann die Mitgliedschaft in der evangelischen Kirche erwartet werden, so z.B. bei folgenden Tätigkeiten
    • Verkündigung in Wort und Sakrament (auf der Grundlage von Ordination oder Beauftragung),
    • kirchenmusikalische Aufgaben,
    • seelsorgliche Tätigkeit auf Grund des Stellenprofils und Beauftragung,
    • Religionsunterricht, Konfirmandenunterricht u.a. katechetischer Unterricht,
    • gemeindepädagogischer Dienst mit religionspädagogischen Aufgaben in der Kinder- und Jugendarbeit sowie
    • Leitung von kirchlichen und diakonischen Dienststellen und Einrichtungen.
      In der Stellenausschreibung sollte auf das Erfordernis kurz und begründet hingewiesen werden, so dass deutlich wird, warum der kirchliche Arbeitgeber die Anforderung als wesentlich erachten kann, z.B.: „Aufgrund der religionspädagogischen Arbeit mit Jugendlichen in der evangelischen Bildung wird ein aktives Bekenntnis zum evangelischen Glauben erwartet, das durch die Mitgliedschaft in der Evangelischen Kirche nachgewiesen ist."
  2. Bei Tätigkeiten mit einem engen Bezug zur Verkündigung, Seelsorge, Bildungsarbeit und Leitung sollte in der Ausschreibung die Anforderung an die Mitgliedschaft in der evangelischen Kirche oder einer anderen christlichen Kirche oder Gemeinschaft gestellt werden. Sofern aufgrund der Beurteilung des Arbeitgebers ausnahmsweise bei den genannten Gruppen die wegen der besonderen Art oder der Umstände der Ausübung der Tätigkeit die Zugehörigkeit zur evangelischen Kirche verlangt wird, ist dies im Vorfeld sorgfältig im Hinblick auf die von der Rechtsprechung geprüften Merkmale zu begründen. Dies gilt z.B. für:
    • kirchenmusikalische Aufgaben in C und D Stellen,
    • gemeindepädagogische Dienste mit Aufgaben in der Familien- und Erwachsenenbildung,
    • Ehe- und Familienberatung,
    • Seniorenarbeit und vergleichbaren Tätigkeitsfeldern sowie bei pädagogischen Aufgaben in evangelischen Schulen und Tageseinrichtungen für Kinder und Jugendliche,
    • Tätigkeiten in der zweiten Leitungsebene in kirchlichen und diakonischen Einrichtungen und Werken sowie
    • Referentenaufgaben in kirchlichen Einrichtungen und Werken, Verwaltungsleitungen und Tätigkeiten in der Öffentlichkeitsarbeit verbunden mit der selbstständigen Außenvertretung der Kirche oder des kirchlichen Arbeitgebers.
      Auch in diesen Fällen wird empfohlen, bereits in der Ausschreibung eine Begründung für die Rechtfertigkeit der entsprechenden Anforderungen zu geben.
      Beispiel:
      „Bei der ...Tätigkeit mit Außenvertretung der ... ist ein positives Bekenntnis der Mitarbeiterin bzw. des Mitarbeiters zum Auftrag der evangelischen Kirche Voraussetzung; daher erwarten wir die Mitgliedschaft in der evangelischen Kirche oder einer anderen christlichen Kirche."
  3. Bei beruflichen Aufgaben in evangelischen Kindertagesstätten und vergleichbaren Einrichtungen kann von dem Erfordernis der Zugehörigkeit zu einer christlichen Kirche abgewichen werden, sofern die evangelische bzw. christliche Prägung der Kindertagesstätte oder Einrichtung gewährleistet wird. Dies ist nach der Richtlinie des Rates der EKD über die kirchlichen Anforderungen der beruflichen Mitarbeit u.a. dann der Fall, wenn überwiegend Christinnen und Christen in der Einrichtung tätig sind.
  4. Bei Aufgaben, die nicht in der Verbindung zu Verkündigung, Seelsorge, evangelischer Bildung oder kirchlicher Leitung stehen, kann die Achtung der evangelischen Prägung des Arbeitgebers bzw. der Einrichtung verlangt werden. Hier kann jedoch von der Voraussetzung an die Kirchenmitgliedschaft abgesehen werden.
    Im Einzelfall kann auch bei diesen Tätigkeiten eine bestimmte Anforderung an die Religion - insbesondere aufgrund der Umstände der Ausübung der Tätigkeit, wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt sein. Dies wäre z.B. der Fall, wenn an der evangelischen Schule für das Unterrichtsfach katholische Religionslehre ein katholischer Christ gesucht wird oder für die evangelische Kindertagesstätte, in der muslimische Kinder betreut werden eine muslimische Erzieherin eingestellt werden soll. Hierfür sollte eine Begründung gegeben sein, die bei entsprechendem Erfordernis, den Bewerberinnen und Bewerber und ggf. einem staatlichen Arbeitsgericht vorgelegt werden kann.
    Darüber hinaus empfiehlt es sich, bei jeder Auswahlentscheidung die Bestenauslese zu dokumentieren. Dies kann gut durch ein kompaktes Punktwertschema erledigt werden. In diesem Kontext ist es empfehlenswert, in Bezug auf das Punktwertschema das Einvernehmen mit der Mitarbeitervertretung zu erzielen.
Sofern die Begründung zu dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 25. Oktober 2018 vorliegt, werden wir ergänzende Hinweise geben.